Sozialraumbezug
Der Sozialraumbezug bedeutet vor allem, dass alle Angebote eines Familienzentrums in einer gewissen räumlichen Nähe zum Wohnort der Familien vorgehalten, aber auch am Bedarf der räumlichen und strukturellen Bedingungen vor Ort ausgerichtet werden sollen. So sollten auch Kooperationspartner der Familienzentren maximal 1,5 Kilometer (bei Verbünden: drei Kilometer) von der Kindertageseinrichtung entfernt ihr Angebot vorhalten, da man davon ausgeht, dass diese Entfernung auch von Eltern, die zu Fuß mit dem Kinderwagen beispielsweise ein Angebot der Familienbildung wahrnehmen möchten, noch gut zu überwinden ist. Ausnahmen gibt es hier zum einen bei sehr spezifischen Angeboten, die lediglich für einen kleinen Personenkreis von Interesse sind (z. B. Kurse für Tagespflegepersonen), zum anderen in ländlichen Gegenden, in denen Entfernungsgrenzen aufgrund der gegebenen Infrastruktur nicht stets einzuhalten sind. Bei Verbünden ist besonders darauf zu achten, dass der Bezug zum Sozialraum durch die Streuung der Einrichtungen nicht verloren geht. Aus diesem Grund dürfen bei Verbundfamilienzentren auch die beteiligten Kindertageseinrichtungen in der Regel nicht mehr als drei Kilometer voneinander entfernt sein. Nur so kann gewährleistet werden, dass auch die Angebote, welche nur von einer Einrichtung des Verbundes bereitgestellt (also als Verbundleistung erbracht) werden, von allen Familien des Sozialraums in Anspruch genommen werden können.
Unter einer sozialräumlichen Perspektive sollte sich der Blick auf die Nutzerinnen und Nutzer von pädagogischen Angeboten, wie sie von Familienzentren bereitgehalten werden, vor allem an folgenden Aspekten ausrichten: Zum einen – und das ist einer der schon klassischen Begriffe im Zusammenhang mit Sozialraumorientierung – muss sich der Bezugspunkt der Arbeit „vom Fall zum Feld“ wandeln. Der Blick der Fachkräfte muss sich vom Einzelfall lösen und die übergeordneten Strukturen und sozialräumlichen Gegebenheiten in die Konzeption ebenso mit einbeziehen wie in die alltägliche Arbeit. Dabei ist das Familienzentrum kein abgeschlossener Raum, der nur auf sich selbst bezogen ist. Einerseits müssen Familienzentren es zulassen, dass die Gegebenheiten des Sozialraumes in die Einrichtung hineinwirken, andererseits muss eine Zielrichtung der Arbeit immer auch nach außen gehen, um die Bedingungen für Eltern und Kinder im Sozialraum aktiv zu verbessern. Daneben darf aber auch der „Fall im Feld“ nicht vergessen werden. Die Wahrnehmung individueller Lebenslagen durch die Adressaten muss ein Ansatzpunkt zur ressourcenorientierten und -aktivierenden Gestaltung der Arbeit sein. Hilfsangebote müssen flexibilisiert werden, sodass mit ihnen schnell und unbürokratisch auf jede Familie eingegangen werden kann, die der Unterstützung bedarf. Schematische Angebote sind zu vermeiden und die Versäulung der Jugendhilfestrukturen sind weitmöglichst aufzuheben.
Sozialraumorientierung, die im Gütesiegel beschrieben ist, sieht eine Analyse der sozialen Lage des Umfelds vor und Kooperationen z. B. mit Grundschulen, ggf. Senioreneinrichtungen und Ortsteilarbeitskreisen, damit diese Zielgruppen in die Arbeit im Familienzentrum eingebunden werden können. Wichtig sind auch Bedarfsanalysen, die in der Regel mindestens einmal im Jahr vorgenommen werden sollten. Unter dem Gesichtspunkt eines Qualitätsmanagements ist eine kontinuierliche Überprüfung der Passgenauigkeit von Angeboten notwendig.
Sozialraumorientierung ist auch im Achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) in den §§ 1 Abs. 3 Ziffer 4; 27 Abs. 2 und 80 Abs. 2 Ziffer 1 und 3 verankert. Erzieherische Hilfen sollen das soziale Umfeld des Kindes oder der Jugendlichen einbeziehen und die Jugendhilfeplanung soll hier unterstützend tätig werden, damit Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld erhalten und gepflegt werden können.
Hier ist es am besten, beim örtlichen Jugendamt nachzufragen, beim Amt für Planung und Finanzen oder bei der Sozialplanung. Diese Stellen erheben die Sozialdaten der Stadt nach Stadtteilen und bereiten diese systematisch auf. Häufig liegen in den Jugendämtern Sozialraumanalysen vor. Manchmal kann allerdings die Nachfrage auch die Notwendigkeit auslösen, entsprechende Daten zu recherchieren. Darüber hinaus liegen der Kindertageseinrichtung oft auch eigene einrichtungsbezogene Daten, z.B. aus dem Anmeldeverfahren vor. Als Kindertageseinrichtung ist es ebenso notwendig, sich mit den Ergebnissen der Kita-Bedarfsplanung auseinanderzusetzen.
Dazu ein Beispiel: Die Daten lassen erkennen, dass der Anteil der Alleinerziehenden in einem Sozialraum überdurchschnittlich hoch ist. Das Team könnte dann gemeinsam überlegen, ob man für diese Gruppe von Personen ein spezielles Angebot entwickelt, von dem sie profitieren können. Oder ein anderes Beispiel: Wenn festgestellt wird, dass der Anteil von Familien mit Zuwanderungshintergrund im Stadtteil stark abweicht von dem Anteil dieser Familien in der Einrichtung, könnte man überlegen, welche Gründe es dafür gibt. Vielleicht gibt es Hemmnisse, die Familien mit Zuwanderungshintergrund davon abhalten, Kontakt zur Einrichtung aufzunehmen. Im Anschluss können Angebote entwickelt werden, die dem entgegen wirken.
Bedarfs- und Zufriedenheitsbefragungen sollten regelmäßig durchgeführt werden, mindestens einmal im Jahr. Damit kann sichergestellt werden, dass die jeweiligen Eltern, die in einem Familienzentrum präsent sind, sich zur Zufriedenheit mit dem Angebot äußern und neue Ideen oder Wünsche vorbringen können.
Hierzu einige beispielhafte Möglichkeiten:
- Vorlesepatenschaften z. B. aus dem Stadtteil akquirieren
- Stadtteilfest oder Weihnachtsmarkt im Stadtteil organisieren
- Aufsteller vor das Familienzentrum stellen
- Eingangsbereich einladend gestalten
- Regelmäßige Pressearbeit
- Gemeinsame Aktionen mit dem Amt für Stadtentwicklung, der Jugendarbeit, Spielmobilen
- Einrichtung eines Elterncafés
- Versammelnde Verfahren für Zielgruppen aus dem Stadtteil organisieren
- Vorführungen der Kinder in Institutionen organisieren
- Mehrsprachige Beschilderung des Familienzentrums Feste von mehreren Eltern mehrerer Nationen und Generationen veranstalten etc.
- Zusammenarbeit mit Selbsthilfeorganisationen
Antworten auf diese Fragen hat Renate Thiersch (2000) auf übersichtliche Weise zusammengefasst. Es geht zunächst darum, die Lebensbedingungen der Familien im Sozialraum kennenzulernen. Dies kann bspw. über Stadtteil-Erkundungsgänge geschehen, die auch mit den Kindern gemeinsam durchgeführt werden können.
Auf was kann dabei geachtet werden?
- Wo stehen Hochhäuser, Reihenhäuser, Einfamilienhäuser?
- Sind sie alt, neu, gepflegt, verwohnt?
- Wo sind Durchgangsstraßen, Nebenstraßen, verkehrsberuhigte Bereiche?
- Wo bestimmen parkende Autos die Straßen?
- Gibt es Gärten, Grünanlagen?
- Gibt es Gehwege, Radwege, besondere Gefahrenstellen?
- Wie ist der öffentliche Nahverkehr?
- Wo sind Geschäfte, Schulen, Ämter, Fabriken, Freizeiteinrichtungen, Spielplätze usw.?
Darüber hinaus sollte die Einrichtung über Daten zur Bevölkerungsstruktur verfügen, die sie über das örtliche Jugendamt bzw. die Jugendhilfeplanung erhält.
- Wie viele Einwohner wohnen im Bezirk?
- Wie viele Kinder leben dort?
- Wie viele ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger wohnen im gleichen Bezirk?
- Wie groß sind die Haushalte?
- Wie viele Arbeitslose, Empfänger von SGB II-Leistungen wohnen dort?
- Welche Schulen und Kindereinrichtungen gibt es?
Auch Hintergrundinformationen zum Stadtteil können sinnvolle Hinweise liefern:
- Ist die Bevölkerung eher einheitlich oder bunt zusammengesetzt?
- Wo arbeiten die Menschen, die dort wohnen? Gibt es viele Pendler?
- Was weiß man über die Berufstätigkeit der Frauen, der Mütter?
- Gibt es Vereine im Stadtteil?
- Welche politischen oder sozialen Gruppen gibt es im Stadtteil?
Um die Kinder selbst mit einzubeziehen, kann es eine Methode sein, dass man sich gegenseitig zu Hause besucht, d. h. ein Kind führt die Gruppe auf dem normalen Heimweg und erklärt, was es zu sehen gibt. Oder man kann sog. Erkundungstage einführen, an denen die Kinder die Möglichkeit haben, bspw. das Polizeirevier, die Zeitungsredaktion oder die Feuerwehr aufzusuchen, Fragen zu stellen und Spannendes hinzuzulernen. Es zeigt sich sogar, dass Kinder, die dies häufiger tun, weniger Hemmungen haben, Fragen zu stellen und auf andere zuzugehen und insgesamt mehr motiviert sind, Neues zu erkunden. Eine andere Möglichkeit, Kinder einzubeziehen, ist das gemeinsame Einkaufen im Stadtteil. Als dritte Ebene der Sozialraumorientierung ist die Ebene der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Einrichtungen, die mit Kindern und ihren Familien zu tun haben. Die Kooperation von pädagogischen Einrichtungen untereinander ermöglicht es, die Belange der Kinder und Eltern im Stadtteil in den Blick nehmen zu können – gemeint sind Kitas, Schulen, Jugendhäuser, Beratungsstellen, Allgemeiner Sozialer Dienst, Beratungs- und Frühförderstellen.